Walddynamik
Wälder gehören neben den Ozeanen zu den produktivsten Ökosystemen. Bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit haben alle Wälder eines gemeinsam: Sie beherrschen die Landschaft und beherbergen mehr Tier- und Pflanzenarten als alle anderen Landökosysteme zusammen. Tiere und Pflanzen eines Gebietes bilden eine Lebensgemeinschaft. Diese Lebensgemeinschaft ist in ihrer Artenzusammensetzung für einen bestimmten Lebensraum (Biotop) charakteristisch. Boden und Klima eines Lebensraumes sind entscheidende Umweltfaktoren für Pflanzen, die ihrerseits wiederum verschiedenen Tieren Lebensmöglichkeiten bieten. Der Lebensraum und die Lebensgemeinschaft bilden ein Ökosystem. Wälder sind ein solches Ökosystem. Beim Stoffkreislauf in der Natur– sofern er nicht durch Eingriffe des Menschen gestört wird – geht dem Ökosystem nichts verloren. Jene Stoffe, die dem Boden von den Pflanzen entzogen werden, stehen am Ende des Kreislaufs wieder zur Verfügung. Zwischen den Lebewesen eines Ökosystems stellt sich aufgrund ihrer Abhängigkeit voneinander und der vielfältigen Beziehungen zueinander ein relativ stabiler Gleichgewichtszustand (ökologisches, biologisches Gleichgewicht) ein. Ein wesentliches Merkmal der Lebensgemeinschaft Wald ist der Nährstoffkreislauf, den die vielen Pflanzen und Tiere des Waldes bilden: Als Produzenten kommt den grünen Pflanzen eine besondere Bedeutung zu. Pflanzen können aus anorganischen Grundstoffen und Wasser mit Hilfe der Sonnenenergie Kohlenstoffverbindungen erzeugen (Assimilation) und daraus ihre Organe (Wurzeln, Blätter, Stamm) aufbauen. Damit bilden sie die Grundlage für das Leben der Tiere (Konsumenten). Direkt für die Pflanzenfresser, die als Konsumenten 1. Ordnung in der Ökologie bezeichnet werden (z.B. Reh, Hirsch, Hase, Mäuse, Raupen, Schnecken) und indirekt für die Fleischfresser, die als Konsumenten 2. Ordnung bezeichnet werden (z.B. Fuchs, Marder, Vögel, Raubinsekten, Spinnen). Der Kreis schließt sich mit den Zersetzern oder auch Destruenten (Insekten, Würmer, Pilze, Bakterien). Die Zersetzer setzen die enthaltenen Nährstoffe frei und führen sie wieder dem Boden zu. Von den Mikroorganismen bis zum Fuchs sorgt ein Heer von Lebewesen für die Beseitigung von Kadavern. Neben Bakterien und Pilzen sind auch zahlreiche Bodentiere an der Zerkleinerung bzw. Zersetzung der Organismenreste beteiligt. Zwischen den verschiedenen Organismen einer Lebensgemeinschaft lassen sich bestimmte Nahrungsbeziehungen feststellen, sogenannte Nahrungsketten. Vom Boden bis in die höchsten Baumwipfel gibt es die unterschiedlichsten Lebensgemeinschaften. Man trifft – vor allem im Mischwald – auf engem Raum viele Pflanzen, die in Wechselwirkung günstige Lebensbedingungen füreinander schaffen. So ermöglicht beispielsweise der Stockwerksbau des Waldes, dass Pflanzen mit verschiedenen Lichtansprüchen auf engem Raum zusammenleben können.
Das Dach der Baumschicht bilden die Baumkronen, deren Blätter Wind, Regen und Sonne voll ausgesetzt sind. Man erkennt deutlich den Unterschied zwischen Licht- und Schattenblättern. Die Verbreitung der Samen dieser obersten Stockwerkschicht des Waldes erfolgt meist durch den Wind. In der Strauchschicht, sie ist die Verjüngungsschicht der Bäume, überwiegen Arten, deren Früchte von Tieren verbreitet werden. Auch die Bestäubung erfolgt, aufgrund der ungünstigen Windverhältnisse, vorwiegend durch Insekten. Hier finden zahlreiche Tiere Unterschlupf und Nahrung. Wenig Licht gelangt in die Krautschicht. Deshalb sind im Frühjahr in Laubwäldern flächendeckende Blütenteppiche zu finden. Diese Blütenpracht bilden sogenannte Frühjahrsgeophyten, das sind Bodenpflanzen, die in den ersten Frühjahrswochen das vorhandene Sonnenlicht ausnutzen, bevor das Laub der Bäume austreibt und den Boden beschattet.
Zu den Wildtieren, die durch zu groß gehaltene Populationen dem Wald am meisten Schaden zufügen, gehören Rot- und Rehwild. Hirsche leben vor allem in Bergwäldern, im Winter ziehen die Rudel zu ihren Futterstellen ins Tal. Der Grund dafür liegt in Mitteleuropa darin, dass Rotwild viel seines ursprünglichen Lebensraums verloren hat und daher in die Almregionen gewandert ist. Ein großes Problem, das Rotwild verursacht, sind die Schälschäden: Die Hirsche fressen die Rinde junger Bäume und verursachen damit große Schäden im Wald. Geschälte Bäume bieten Eintrittsstellen für holzzerstörende Schadpilze, die durch Fäulnis das Holz entwerten und die Bäume instabil machen. Im Gegensatz zum Rothirsch sind Rehe echte Waldbewohner, die aber für die Nahrungsaufnahme gerne offene Flächen aufsuchen. Kulturen mit Jungpflanzen sind daher begehrte Äsungsflächen für Rehwild, insbesondere als die Nachbarbestände ideale Fluchtmöglichkeiten für das Rehwild bieten. So führt der Verbiss an Laubgehölzen und an Tannen zu erheblichen Schäden. Eine Baumartenentmischung bis zu nicht aufkommender Verjüngung sind die Folgen. Uhu, Fuchs, Dachs und Baummarder sind heute die größten Raubtiere des Waldes. Luchs, Wolf und Bär wurden ausgerottet und halten nun mehr oder weniger zögerlich wieder Einzug in Mitteleuropa. Von den drei großen Beutegreifern ist lediglich der Luchs ein echter Waldbewohner, als Ansitzjäger braucht er viel Vegetation als Deckung, um seine Beute – bevorzugt Rehe – zu schlagen. Die Reviere von Bären und Wolfsrudeln sind derart groß, dass selbst in Naturlandschaften ein Wechsel von verschiedenen Landschaftstypen wie Wäldern, Feuchtflächen, und Wiesen typisch sind.
Ameisen gehören wie Bienen, Wespen, Hummeln und Hornissen zu den Hautflüglern. Die meisten Ameisen unserer Wälder sind nützlich, weil sie unter anderem Forstschädlinge vertilgen, außerdem sind sie Nahrung für viele andere Tiere. Vögel spielen in der Lebensgemeinschaft Wald eine große Rolle bei der natürlichen Schädlingsbekämpfung, da sie wichtige Insektenvertilger sind. Da Bruthöhlen in den Wäldern selten geworden sind, versucht man, sie mit Hilfe von Nistkästen wieder einzubürgern. Dadurch wird auch versucht, die Massenvermehrung von Schadinsekten zu vermeiden. Je nach Lage und Größe des Einflugloches bauen sich verschiedene Vögel ihr Nest. Ein flacher Nistkasten, der an der Unterseite mit einer rechteckigen Öffnung versehen ist, ersetzt Fledermäusen die Schlafhöhle.
Ökosysteme unterliegen, wie alle natürlichen Systeme, einer Dynamik. Ein Wald kann sich z. B. nur erhalten, wenn einzelne Bäume absterben, die dadurch entstehenden Lücken aber wieder von neuen Bäumen eingenommen werden. Die Verjüngungslücken im Wald sind häufig nicht größer als ein einzelner Baum (wenn dieser aus natürlichen Ursachen im Stehen
abstirbt und zusammenbricht), sie können mehrere Baumlängen umfassen (wenn ein stürzender Baum andere Bäume mit sich reißt). Durch Störungen wie Brände, Sturmwurf, Insektenkalamitäten u. ä. können Bestände auch auf großen Flächen absterben und größere Lücken bilden.
Eine Lücke im System kann zeitnah von einem Baum derselben Art aufgefüllt werden. Oft kommt hier eine schneller wachsende Pionierart
zum Zuge (dazu gehören etwa Birke, Salweide, Pappel und Eberesche), die erst nach längerer Zeit von der Ursprungsart verdrängt werden kann. Es können auch mehrere solcher Pionierarten aufeinander folgen.
Die gesetzmäßige Abfolge solcher Zustände wird als Sukzessionsreihe bezeichnet. Die Größe der Flächen, auf der dieser Zyklus synchron durchlaufen wird, ist die Größe der Verjüngungslücke. Da die Bäume im Urwald zu verschiedenen Zeitpunkten absterben und somit Lücken verschiedener Größe nebeneinander entstehen, kommt es zu einem Mosaik von Verjüngungszyklen.
Diese zyklische Entwicklung eines vom Menschen unbeeinflussten Waldes erfolgt in unterschiedlichen Waldtypen (subalpin, boreal), auf unterschiedlich großen Teilflächen. Wie groß diese Fläche ist, hängt vor allem von der Art der Störung ab, die das Baumsterben verursacht. Bei einem Blitzschlag etwa ist die Lücke relativ klein, bei einem Insektenschaden oder einem Waldbrand sind die Verjüngungslücken dementsprechend größer. Diese verschiedenen Teilflächen unterschiedlicher Sukzessionsstadien bilden von oben betrachtet ein Mosaik. Die Länge des Zyklus hängt naturgemäß von der Lebensdauer der beteiligten Arten ab. Sie kann aber, wie im Falle aufeinander folgender Generationen von Pionierarten, unter Umständen erheblich länger sein als die Lebensdauer der langlebigsten Art.
Anhand des Mosaik-Zyklus-Konzepts wird deutlich, dass Werden und Vergehen Teil der natürlichen Walddynamik sind. Selbst ein flächenhafter Zusammenbruch eines Waldes gehört zur natürlichen Dynamik, wie auch die Fähigkeit des Waldes sich davon zu erholen. Im Wirtschaftswald, der den überwiegenden Teil der Waldfläche in Mitteleuropa ausmacht, in dem der Mensch die verschiedenen Abläufe beeinflusst durch Holzernte, Aufforstung und Durchforstung, sind die verschiedenen Phasen nicht mehr so deutlich ausgeprägt. Auch sind die Verjüngungsflächen meist wesentlich größer und werden in der forstlichen Fachsprache als Bestand bezeichnet.