Wissenswertes zum Urwald
Als Urwald bezeichnet man Wälder, in denen bisher keine menschlichen Eingriffe wie Holzernte oder Rodung stattfanden. In Nordamerika benutzt man dafür den sehr treffenden Ausdruck virgin forests
, also Wälder, die unberührt sind. In Mitteleuropa sind Urwälder nur noch sehr selten anzutreffen und dann meist nur noch auf relativ kleinen Flächen. Aber warum sind gerade Urwälder für den Naturschutz so bedeutend und so ein wertvoller Lebensraum für Tiere?
Während im Wirtschaftswald der Forstmann darüber entscheidet, welche Bäume wachsen und wie alt diese werden dürfen, gibt es im Urwald diese Begrenzungen nicht. Im Urwald entscheidet die Natur darüber, welche Baumarten sich durchsetzen und ob sie bereits als Keimling absterben oder das reife Alter eines Baumriesens erreichen dürfen. Dahinter stecken viele ökologische Prozesse, von denen noch nicht alle erforscht und erkannt worden sind. Der Urwald dient also auch als Lehrmeister im Umgang mit der Natur.
Wälder sind dynamisch, sie verändern sich laufend. Ein Wald kann sich nur erhalten, wenn einzelne Bäume absterben und entstehende Lücken von neuen Bäumen wieder geschlossen werden. Diese Verjüngungslücken im Wald sind häufig nicht größer als ein eine Baumlänge. Durch Schadereignisse, in der Ökologie Störungen genannt, wie Brände, Stürme oder Massenvermehrungen von Insekten können Wälder auch auf großen Flächen absterben und größere Lücken bilden. Eine Lücke im Wald wird rasch wieder geschlossen.
Die Erstbesiedler einer offenen Waldlücke sind Gräser und Kräuter, gefolgt von Sträuchern. Danach kommen schnell wachsende Baumarten wie Birke, Eberesche oder Salweide auf um schließlich von Eichen, Buchen oder Tannen abgelöst zu werden. Diese bleiben so lange dominant, bis sie wiederum durch eine Störung absterben oder nach hunderten von Jahren ihr natürliches Lebensende erreichen. Danach beginnt dieser Zyklus von neuem. Deshalb spricht die Wissenschaft in Urwäldern vom Mosaikzyklus, weil wie in einem Mosaik verschiedene Entwicklungsstufen nebeneinander existieren. Da die meisten heimischen Baumarten sehr alt werden können, geht diese Dynamik sehr langsam vor sich und daher für den Menschen fast unsichtbar. Trotzdem bleibt diese Walddynamik ein zentraler Bestandteil jedes Urwaldes, den viele verschiedene Tierarten und Pflanzenarten sind davon abhängig. Speziell das Totholz ist ein unersetzlicher Lebensraum für hunderte von Arten, darunter so prominente wie dem Hirschkäfer und dem Schwarzspecht. Im Wirtschaftswald, wo der Mensch die verschiedenen Abläufe durch Holzernte, Aufforstung und Durchforstung beeinflusst, sind die verschiedenen Entwicklungsphasen nicht mehr so deutlich ausgeprägt oder fehlen zur Gänze.
Urwälder sind aber nicht nur dynamisch, sie sind auch vielfältig, im Gegensatz zum Wirtschaftswald, insbesondere den künstlichen Monokulturen. Im Urwald ermöglicht der stockwerksartige Aufbau des Waldes, dass Pflanzen mit verschiedenen Lichtansprüchen auf engem Raum zusammenleben können. Das Dach der oberen Baumschicht bilden die Baumkronen, deren Blätter Wind, Regen und Sonne voll ausgesetzt sind. Hier werden auch Samen gebildet, die durch Wind und Vögel verbreitet werden und für die Ausdehnung des Waldes und sein Weiterbestehen wichtig sind. In der unteren Baumschicht finden sich jüngere Bäume oder Baumarten, die nicht so wüchsig und konkurrenzstark sind, wie etwa Hainbuchen oder Linden. Die Strauchschicht wiederum wird von echten Sträuchern wie Brombeere und Hasel bestimmt, sowie von sehr jungen Bäumen, die geduldig auf ausreichend viel Licht warten um in die obere Baumschicht wachsen zu können. Viele Tierarten, vor allem Vögel und Insekten, sind auf die Früchte der Strauchschicht angewiesen. Nur noch wenig Licht gelangt in die Krautschicht, welche die unterste Schicht bildet. Deshalb sind auch nur im Frühjahr in Laubwäldern flächendeckende Blütenteppiche zu finden: denn diese Blütenpracht bilden Bodenpflanzen, welche das vorhandene Sonnenlicht ausnutzen bevor das Laub der Bäume austreibt und den Boden beschattet.