Totholz lebt
Über Generationen hinweg war es in der Waldbewirtschaftung Brauch jeden Baum, der keine grüne Krone mehr trug aus dem Wald zu entfernen. In bewirtschafteten Wäldern verschwanden dicke alte Bäume gänzlich. Die Umtriebszeiten, also der Zeitraum zwischen Aufforstung und Kahlschlag, lassen es erst gar nicht zu das sich Totholz bildet. Denn die üblichen Umtriebszeiten dauern zwischen 80 und 100 Jahren an, während viele Baumarten aber mehrere hundert Jahre alt werden können. Totes Holz ist nur noch in unerschlossenen Gebirgsregionen oder in Wäldern, die nur jagdlich genutzt werden, anzutreffen.
Denkt man an Wildnis im Wald, dann erscheinen Bilder von großen Tieren wie Wolf, Bär oder Wisent. Tatsächlich sind die Lebewesen, die auf unberührte, mit viel Totholz ausgestattete Wälder angewiesen sind, wesentlich kleiner und unscheinbarer. Der überwiegende Großteil sogenannter xylobionter Arten, also Lebewesen, die totes Holz bewohnen, sind Pilze und Käfer. Diese Arten sind wichtig für den Nährstoffkreislauf des Waldes. Durch sie werden die im Holz gespeicherten Nährstoffe wieder verfügbar gemacht. Der Abbau von Holz dauert viele Jahre und beinhaltet viele verschiedene Stadien. Xylobionte Arten sind sehr spezialisiert und nicht nur auf eine bestimmte Baumart, sondern auch auf ein spezielles Zersetzungsstadium angewiesen. Durch diese hohe Spezialisierung ist die Artenzahl xylobionter Arten sehr hoch. Der Großteil der waldbewohnenden gefährdeten Arten sind auf das Substrat Totholz angewiesen. Daher ist aber auch der wichtigste Akt für den Naturschutz im Wald die Erhaltung toter Bäume.
Von Totholz geht übrigens keine Gefahr für lebende Bäume mehr aus. Denn xylobionte Käfer neigen nicht zur Massenvermehrung und sind auf bereits abgestorbene Bäume angewiesen. Für Schadinsekten wie etwa Borkenkäfer stellen tote Bäume kein geeignetes Substrat dar, weil unter anderem keine saftführenden Schichten mehr vorhanden sind, von denen sich die Larven ernähren.
Totholz ist beides gleichzeitig: Lebensraum und Nahrung. Während Pilze und Käfer sich am absterbenden Holz laben, nutzen viele Vögel und Säugetiere das Totholz als Wohnraum. Baumhöhlen sind derart gefragt, dass es teilweise sogar zu einer Wohnungsnot im Wald kommen kann. Denn auch wenn es viele Interessenten an Baumhöhlen gibt, gibt es nur wenige Baumeister. Genau genommen sind die Spechte dafür verantwortlich.
Speziell die Höhlen des Schwarzspechts sind begehrt, da diese sehr geräumig sind und so für viele Arten in Frage kommen. Der Schwarzspecht erreicht die Größe einer Krähe und ist damit mit Abstand die größte Spechtart. Als vergleichsweise großer Vogel mag er Altbestände, in denen er Platz zum Fliegen vorfindet. Bezüglich Holzart hat er keine Vorlieben, er kommt sowohl in Laub- als auch in Nadelwäldern vor. Der Schwarzspecht gibt sich aber nicht mit einer Höhle zufrieden: in seinem Revier, das rund 100 ha umfassen kann, legt er bis zu 10 Höhlen an. Als ideales Bauobjekt kommen mindestens 100jährige Buchen in Frage die einen Stammdurchmesser größer als 40 cm haben. Über 60 Arten sind bekannt, die als Nachmieter in ehemalige Spechtwohnungen einziehen. Unter den Vögeln vertrauen Hohltaube, Kleiber, Dohle und sogar der räuberische Raufußkauz auf die Baukunst ihrer Verwandten mit den harten Schnäbeln. Aber auch zahlreiche Säuger fühlen sich in einer Spechtbehausung wohl: Siebenschläfer, Haselmaus, Eichhörnchen und Baummarder verkriechen sich in Baumhöhlen. Sogar einige Fledermausarten nutzen Höhlen. Dabei kommt es auch zu einer Abfolge von Arten: frisch gezimmerte Schwarzspechthöhlen nutzt der Raufußkauz. Ist die Immobilie schon etwas in die Jahre gekommen ziehen Fledermäuse ein.